Seminar
KLISCHEE UND ORIENTIERUNG in einer experimentellen Schematheorie des ästhetischen Erlebens
Die pejorative Konnotation von ‚Klischee‘ kann sich daher nur auf Situationen beziehen, in denen ein Individuum unfähig ist, ein Schema zu problematisieren. Ich betrachte diese ‚Funktionslust‘ der ‚Zirkulärreaktionen‘ als die Grundlage des ästhetischen Genusses. (Oswald Wiener 1998)
In diesem Seminar werden wir einige konträre Hintergründe von ästhetisch-psychologischen sowie gesellschaftlichen Zusammenhängen reflektieren.
Die Eindringlichkeit erlebter Situationen sowie die Unzulänglichkeit ihrer Vermittlung, Rationalisierung oder gar Hervorbringung sowohl durch „Bilder“ (Repräsentation) als auch der „Form nach“ (Formalismus) bildete eine Grundlage der künstlerisch-politischen Kritik am „Spektakel“ wie sie eine Avantgarde der 1970er Jahre thematisierte und damit eine „Kunst ins Leben“ propagierte. Durch eine aktuelle Kritik von Jacques Rancière an diesen Positionen können wir unterschiedliche Auffassungen/Auslegungen diskutieren und einige seiner Themenfelder – von Emanzipation und „Autonomie der Kunst“ bis hin zum rationalen Diskurs versus Dissens – vertiefen.
Vorwiegend werden wir aber versuchen, die wichtige Rolle von Orientierung und Schemata (Jean Piaget) in der Ästhetik und Denkpsychologie (Oswald Wiener) zu verdeutlichen, um sie nebenbei auch von einer wichtigen Gesellschaftskritik der Rationalität und Rationalisierung abzuheben (Max Weber, Herbert Marcuse, Hannah Arendt, Jürgen Habermas). Zu allen angegebenen Themen und Texten kann durch ein Referat oder eine kleine Hausarbeit eine Modulbescheinigung erworben werden.
Praxisfenster: Da wir noch immer eine 360°-Kamera zum Experimentieren zur Verfügung haben, kann ich bei Interesse auch zwischenzeitlich noch eine kleine Einführung geben.
Literatur:
Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart 1960; The Human Condition. A Study of the Central Dilemmas Facing Modern Man. Garden City, NY 1958.
Habermas, Jürgen: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“? In: Man and World, 1968, Nr. 4, S. 483-523.
Habermas, Jürgen: Hannah Arendts Begriff der Macht. In: Merkur, 1976, Heft 341, S. 946-960.
Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Band I. Frankfurt am Main 1981.
Kris, Ernst: Die ästhetische Illusion. Phänomene der Kunst in der Sicht der Psychoanalyse. Frankfurt am Main 1977.
Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Neuwied 1967.
Piaget, Jean: Das Weltbild des Kindes (1926). Stuttgart 1978.
Piaget, Jean: Nachahmung, Spiel und Traum (1959). Stuttgart 1975.
Rancière, Jacques: Der emanzipierte Zuschauer. Wien 2009/2015; The Emancipated Spectator. London/New York 2009.
Šklovskij, Victor: „Kunst als Verfahren“ (1916). In: Mierau, Fritz (Hrsg.): Die Erweckung des Wortes. Essays der russischen Formalen Schule. Leipzig 1991,
S. 11-32.
Wiener, Oswald: Literarische Aufsätze. Wien 1998.
CLICHÉ AND ORIENTATION
in an experimental schema theory of aesthetic experience
The pejorative connotation of 'cliché' can therefore only refer to situations, in which an individual is incapable of problematizing a scheme. I regard this 'functional pleasure' of 'circular reactions' as the basis of aesthetic pleasure. (Oswald Wiener 1998)
In this seminar, we will reflect on some contrary backgrounds of aesthetic-psychological as well as social contexts.
The intenseness of experienced situations as well as the inadequacy of their mediation, rationalisation or even production, both through "images" (representation) and "form after" (formalism), formed a basis for the artistic-political critique of the "spectacle" as thematized by an avant-garde of the 1970s and thus propagated an "art into life". Through Jacques Rancière’s current critique of these positions, we will discuss different views/interpretations and deepen a few of his thematic fields, from emancipation and “autonomy of art” to rational discourse versus dissent.
However, we will mainly try to clarify the important role of orientation and schemata (Jean Piaget) in aesthetics and psychology of thought (Oswald Wiener) in order to differentiate them from an important social critique of rationality and rationalisation (Max Weber, Herbert Marcuse, Hannah Arendt, Jürgen Habermas). A module certificate can be obtained for all topics and texts through a presentation or a small term paper.
Practice: Since we still have a 360° camera available for experimentation, I can give you a short introduction if you are interested.