Wintersemester 2018/2019, BA/MA Textil- und Material-Design Textil_Startseite
DAS EPHEMERE MOTIV
In unserer Warenkultur und insbesondere in der Welt der Textil- und Druckindustrie ist das Verblassen von Farben nicht erwünscht. Niemand will ein graues T-Shirt kaufen, das in zwei Monaten heller oder sogar gelb wird. So etwas bedeutet mindere Qualität und führt dazu, dass es bald wieder weggeworfen wird. Eine Farbveränderung wird einfach als etwas Negatives wahrgenommen.
In meinem Projekt möchte ich einen neuen Blick auf diesen Mangel werfen. Ich habe daher eine Oberfläche geschaffen, die sich in einem ständigen Übergangszustand befindet. Dafür wurden ganz bewusst instabile Farbtöne verwendet, die sich in der Interaktion mit dem Sonnenlicht und den jeweiligen Umgebungsbedingungen kaum merklich oder auch sehr deutlich verändern. Sie machen den Einfluss von Zeit und Sonne auf das Material direkt erfahrbar und beeinflussen auch die eigene Beziehung zu ihm. Vor unseren Augen entsteht ein sich immer erneuerndes ephemeres Muster.
In einer Welt, in der Kontrolle allgegenwärtig ist, vergessen wir manchmal, dass jedes Element seine eigene Lebensdauer hat. Letztlich sind alle Dinge einem natürlichen Prozess unterworfen und werden irgendwann vergehen, auch wenn sie temporär die Illusion von Stabilität und Beständigkeit erzeugen. Die Wahrnehmung von Zeit hat in unserer kontrollierten und durchorganisierten Alltagswelt keinen Bezug mehr zu natürlichen Zeitverläufen. Hingegen machen die Farbveränderungen von natürlichen, aus Obst, Pflanzen oder Gemüse gewonnen Pigmenten genau diese Zeitebenen wieder sichtbar, ebenso wie den ursprünglichen Bezug von Farbe und Natur.
Jede der im Projekt verwendeten Pflanzen hat ihre eigene Beziehung zum Licht. Alle färben, obwohl sie allgemein dafür nicht verwendet werden, aber das Verhalten der Farben und ihre Lichtempfindlichkeit ist sehr unterschiedlich. Die Pigmente sind speziell im Hinblick darauf gewählt, mit dem Licht zu interagieren und verschiedene Farbtonvariationen zu erzeugen. Zum Beispiel, weil der Farbstoff der Roten Beete länger hält als der von Kurkuma oder die Spirulina ihren Farbton von dunkelgrün zu blau verändert. Oder weil das Hanfpigment aufhellt, bis es komplett verschwindet.
Mein Projekt positioniert sich als Gegenpol zur «Fast-Fashion» und verfolgt eine andere Idee von Nachhaltigkeit, die nicht auf Beständigkeit hinausläuft. Ziel ist es die Wirkungen der Zeit und die Schichten der Vergangenheit in einem Material, das wir berühren und fühlen können und mit dem wir uns vertraut fühlen, sichtbar zu machen. Nicht nur, um Formen zu zeigen, sondern auch Prozesse, die sich über die Zeit gebildet haben.
Darüber hinaus tritt der Betrachter mit der Oberfläche in einen Austausch: Sein Blick wird kreativ, denn seine Erinnerung bewahrt die ursprüngliche Spur dessen, was er betrachtet. Nicht das unmittelbar Wahrgenommene steht im Zentrum, sondern der Prozess der Veränderung. Die einzelnen Motive werden zu einer begrenzten Lebensdauer «verurteilt».
Darin liegt ihr Wert.
Projekt von: Constance Vidalain