Sommersemester 2022, BA/MA Textil- und Material-Design GreenLab , Textil_Startseite

GreenDesign 11.0 – ReDefining Crafts

„Es ist nicht das Handwerk als ‚Handarbeit‘, das das zeitgenössische Handwerk definiert: Es ist das Handwerk als Wissen, das den Hersteller befähigt, die Technologie zu beherrschen.“ (Peter Dormer)

 

Wir leben in einer zunehmend komplexen, informationsüberfluteten und beschleunigten Konsumgesellschaft und steuern gleichzeitig auf einen dramatischen Klimawandel zu. Parallel dazu ist unser Alltag, verstärkt durch die langanhaltende Covid-Pandemie, immer virtueller geworden. Im Kontrast dazu aber haben jedoch viele Designer*innen und Künstler*innen eine neue Aufmerksamkeit für die Bedeutung der menschlichen Berührung entwickelt. Die Qualitäten des Handwerks – langsame Herstellung, kulturelle Sensibilität, manueller Kontakt – gewinnen 150 Jahre nach der industriellen Revolution an Anerkennung und verweisen indirekt auf die Arts-and-Crafts-Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei wird die menschliche Hand heute häufig durch digitale Werkzeuge erweitert, alte Fertigkeiten werden mit radikal neuen Technologien und zukunftsgerichteten Ideen verknüpft. Oftmals erfinden Designer*innen dabei sogar ganz neue Verfahren. Es entsteht eine neue Auffassung des zeitgenössischen Designs, in der der Allgegenwärtigkeit und Seelenlosigkeit von Massen- und Markenprodukten individuelle und unverwechselbare Qualitäten gegenübergestellt werden.

 

Handwerk bedeutet Aufmerksamkeit für das Detail, unabhängig davon, wie ökonomisch Einzelanfertigungen oder Kleinserien sind. Es schafft einen eigenen Denk- und Wahrnehmungsraum. Im Rahmen dieses Projekts wollten wir einen frischen, innovativen Blick auf das Handwerk werfen und Hand, Geist und Auge, technisches Können und ästhetisches Empfinden miteinander verbinden:

 

Was sind die ästhetischen und emotionalen Qualitäten von Materialien und Prozessen, die mit dem Handwerk verbunden sind? Welche neuen nachhaltigen Praktiken lassen sich daraus entwickeln? Welchen Platz haben langsame Herstellung, manuelle Fertigkeiten und die Beschäftigung mit dem Handwerk in unserem sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben? Welche digitalen Werkzeuge können für das zeitgenössische Kunsthandwerk genutzt werden, um das aktuelle Verständnis von Handwerk und Design weiterzuentwickeln?

 

Die folgenden Themenbereiche waren Vorschläge für die teilnehmenden Studierenden, um ihre kreative Umsetzung klarer in eine Richtung zu lenken. Und als mögliche Anhaltspunkte zur Formulierung eigener relevanter Unterthemen – immer auch mit dem Blick auf Nachhaltigkeit:

 

– High-Crafts oder Exquisite Handicrafts – Handgefertigte Qualitäten des Handwerks: Bei diesem Thema stand die handwerkliche Tradition im Vordergrund und die Konzentration auf materielle und ästhetische Feinfühligkeit. Es sollte den Übergang zwischen alten und neuen Bedeutungen, Werten und Ästhetiken durch die Neuinterpretation der Tradition fördern;

 

– Lab Crafts oder Techno-Crafts – Technologie als Erweiterung von Fähigkeiten der menschlichen Hand: Hier ging es um die Wiederbelebung alten Handwerks durch neue Technologien, Materialien und Ideen oder sogar die Erfindung völlig neuer Verfahren;

 

– Social Crafts oder Crafting Connections – Handwerk als Verbindung zwischen Menschen und Kulturen: Dieser Schwerpunkt widmete sich der sozialen Bedeutung von Produktion und kollektiver Urheberschaft. Es ging um den menschlichen Instinkt, Dinge herzustellen, und um das Bedürfnis, Erfahrungen und Geschichten im Zusammenhang mit handwerklichen Produkten zu teilen, was heutzutage durch das Internet in hohem Maße gefördert wird.

 

Das Projekt begann mit einem intensiven „Ikat“-Workshop, bei dem der Faden für das Weben mit natürlichen Pigmenten gefärbt wurde. Im Anschluss folgte der Workshop „From Yarn To Textile“, in dem eigene Garne gesponnen wurden, um daraus Textilien auf dem TC2 Jacquard-Webstuhl oder/und der digitalen Kniterate-Strickmaschine herzustellen. Ergänzend haben Vorträge externer Designer*innen dazu beigetragen, den Studierenden ein größeres Spektrum des RE-DEFINING CRAFTS-Kontexts zu vermitteln.

 

Knitting Cultures – Gifty Amoateng

 

Textile und ihre philosophische und kulturelle Bedeutung, ihre Fähigkeit, Gefühle und Lebensumstände zu verewigen, sind in vielen afrikanischen Kulturen wichtiger Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation.

 

Im Rahmen meiner Arbeit habe ich die digitale Praxis der sogenannten Gelelektrophorese – Fingerabdrücke, die in ein Bandenmuster übertragen werden umformuliert und mit dem tiefen Ahn*innenwissen des ghanaischen Kente-Textils verbunden. Es entsteht ein Gestrick, das schwer ist, das wertvoll ist, der Geschichte in Form von gestrickten Fingerabdrücken, gedämpften Farben, die mich ans Deutschsein erinnern und eine einzigartige Familiengeschichte erzählt. Textilien erzählen die Geschichten, der Menschen, der Orte, deren Geschichten oft unerzählt und unerhört sind und bleiben.

 

Meine Praxis knüpft eng an vorkoloniale Methoden, wie orale Geschichtenerzählung und das generationsübergreifende Vererben von Erinnerung in Form von Skulpturen, Gedichten und eben Stoffen und Kleidung an.

 

Canino – Gaia Reiner

 

Anders als Schafe und Ziegen, sind Hunde Tiere, zu denen wir eine enge Beziehung haben. Trotzdem eignet sich auch ihre Wolle als textiler Rohstoff. Insbesondere das bei vielen Rassen vorkommende Unterfell kann bei der regelmäßigen Fellpflege ausgekämmt und genau wie Ziegenhaar zu einem feinen Garn versponnen werden. Eigentlich ein Abfallprodukt der Fürsorge, ist es gleichzeitig eine nützliche Ressource.

 

Das Projekt untersucht das breite Spektrum unterschiedlicher Wollqualitäten, die sich aus der Vielzahl der Hunderassen und der Diversität ihrer Felle in Struktur und Farbe gewinnen lassen. Dabei wird den Besuchern die Möglichkeit gegeben, die Materialien nicht nur sensuell zu erkunden, sondern sie in ihrer Vorstellung auch mit dem realen Tier in Verbindung zu bringen.

 

Semble – Clara Santos Thomas

 

SEMBLE ist ein Schuhkonzept, das sich auf das Ineinandergreifen verschiedener Elemente und Materialien in einer reversiblen Verbindung konzentriert. Anstelle einer Sohle und eines Oberteils, die zusammengenäht oder -geklebt sind, wird der Schuh zu einer Kombination aus Sohle(n) und Socke(n). So konstruiert, dass er unkompliziert auseinandergenommen und in neuen Kombinationen wieder zusammengesetzt werden kann, ganz nach unseren jeweiligen Bedürfnissen oder Umständen hinsichtlich Komforts, Ästhetik, Funktion oder Schutz.

 

Dies vermeidet nicht nur Probleme des Schuhrecyclings, sondern lädt auch die Verbraucher ein, ihre Schuhe kreativ umzugestalten und an ihre individuellen Wünsche und Bedürfnisse anzupassen. Tagsüber bequem mit gutem Halt, nachts elegant und fein. Im Sommer luftig und erfrischend, im Winter kuschelig und warm.

 

Pull the thread – Joanna Czekaljo

 

Vor euch liegt ein Textil. Es ist ein handgefertigtes Häkeldeckchen. Nehmt es in die Hand und zieht an dem Faden, der bereits etwas heraushängt. Zieht dran und seht was passiert. Masche für Masche löst sich die Fläche auf, ihre Struktur und Form scheinen keinen Widerstand zu leisten.

 

Dagegen gibt der Faden selbst seine inzwischen angenommene Form nicht ohne Weiteres auf und lässt zugleich ein Farbmuster sichtbar werden, das die vorherige Struktur des Textils widerspiegelt. Wird er nun weiterverarbeitet, schreibt sich seine Vorgeschichte in das neue Textil ein. Zwei zeitlich und räumlich auseinander liegende handwerkliche Herstellungsprozesse, durch die auch die beteiligten Personen in Verbindung treten, selbst wenn sie sich nie begegnet sind.

 

Oft finden wir gehäkelte Textilien in alten Familienbeständen oder auf einem Flohmarkt als anonyme Objekte, die einer vergangenen Zeit anzugehören scheinen. Ihr Grundelement ist ein einziger Faden, der es ihnen erlaubt, sich vollständig zu verwandeln und in eine Gegenwart zu treten, in der sie immer neue Formen annehmen können.

 

Weaving – Jola Hauschild

 

Das Projekt ist als dialogischer Prozess konzipiert und verbindet zwei Weberinnen in sehr unterschiedlichen Kontexten, eine Berliner Textildesign-Studentin und eine Modedesignerin aus Sri Lanka. Beide vollziehen über einen Zeitraum von fünf Arbeitstagen einen simultanen Herstellungsprozess, während dessen sie in einem ständigen virtuellen Austausch stehen.

 

Das Ergebnis sind zwei kodierte Gewebe, die jeweils als Tagebuch gelesen werden können. Verschiedene Farben repräsentieren verschiedene Tageszeiten und visualisieren die jeweiligen Arbeitsrhythmen. Doch die Materialien und Farben weisen auch feine Unterschiede auf, in denen die unterschiedliche Herkunft der gewebten Diagramme wahrnehmbar wird. Der Projektverlauf wird von beiden Seiten filmisch dokumentiert.

 

Durch dieses performative Konzept werden modellhaft Arbeitsprozesse und -umstände in den Blick gerückt, die sonst unsichtbar bleiben, ebenso wie die Menschen, die hinter jedem anonymen Objekt aus den globalen Produktionsketten stehen.

 

Interference – Luise Schumacher

 

Analog zum sachlich funktionalen Kontext, in dem sie üblicherweise getragen werden, basieren die klassischen Muster von Hemden meist auf geraden oder sich rechtwinklig kreuzenden Linien. Wird der Stoff aufgetrennt und in schmale Streifen zerteilt, treten diese Geometrien hervor und lassen sich in neue, komplexere Strukturen übertragen. Die Streifen behalten zwar die farbige und geometrische Codierung ihrer vorherigen Musterung, aber verrutschen wie bei einem digitalen Glitch, sodass mit ihrer neuen Anordnung zugleich die Störung und Auflösung der ursprünglichen Ordnung sichtbar wird.

 

Erzielt wird diese Neuordnung durch die Verarbeitung als Gestrick oder Gewebe, mit neuartigen Texturen und Mustern, welche kontrolliert, jedoch frei von Perfektion wirken. Dieser Effekt folgt aus der Kombination von zwei in sich jeweils geordneten Strukturen, die übereinander gelegt eine unendliche Menge an Variationen und Interferenzen hervorbringen können.

 

TREIBSEL – Paolina Bumeder

 

Eine Ernte, die niemand gesät hat, für jeden zugänglich und mit einfachen Mitteln nutzbar.

 

Jahr für Jahr wird Seegras aus wogenden Unterwasserwiesen an den Strand gespült und bildet kleine Hügel entlang der Küste. Dort muss es nur noch gesammelt und gewaschen werden und lässt sich dann zur Dämmung, zum Dachdecken oder zum Polstern verwenden, was früher ganz üblich war. Heute finden sich dort statt einer alten Sammlerkultur aber vor allem Badetouristen, und täglich fahren Reinigungsfahrzeuge durch den Sand, die dem Ökosystem schaden und ein Supermaterial zu Müll machen.

 

In einer Seegras-Matratze wird sich keine Milbe finden, Schweiß wird schnell aufgesogen und wieder abgegeben, und selbst wenn der leichte Werkstoff ständig nass wird, schimmelt er nicht. Dazu kommen seine gute Klimabilanz und freie Verfügbarkeit.

 

Mein Ziel war es, alte Verwendungen neu zu interpretieren und visuelle wie funktionale Qualitäten auszuloten. Das Ergebnis ist ein Archiv, das die Potenziale des Materials mittels verschiedener textiler Techniken sichtbar macht.

 

Leathered Landscapes – Sara Hassoune

 

Leathered Landscapes ist eine Erprobung verschiedener textiler Handwerkstechniken mit dem Ziel, eine effiziente und zugleich ästhetische Nutzung industrieller Lederabfälle zu finden. Gleichzeitig soll es dazu anstoßen, Abfälle anders wahrzunehmen und zu bewerten. Der Schwerpunkt liegt auf dem langsamen manuellen Herstellungsprozess und der Exploration von Materialien. Dabei werden unregelmäßige Formen und Texturen, erinnernd an die natürlichen Tierhäute, eingearbeitet. Struktur und Farbe sind gebunden an Verfügbarkeit.

 

Die Lederreste werden systematisch nach Maßen sortiert, wobei sich größere Stücke zur Produktion von Garn und gewebten oder gestrickten Oberflächen eignen, während kleinere Stücke wie bei handgemachten Teppichen geknüpft werden, um auch die letzten Reste zu verwerten. Auf diese Weise werden Lederabfälle in neue, luxuriöse Halbfabrikate transformiert, geeignet für mehrere Applikationen. Die Ästhetik resultiert aus verschiedenen Faktoren und kann auch auf Ad-hoc-Entscheidungen beruhen. Natürliche Abfallstoffe, die zu menschlichen Artefakten werden.

 

Double Ways – Sophie Stöckemann & Naja Stelmach

 

Das Projekt untersucht und erweitert die Möglichkeiten, textile Oberflächen mit durch Tunnel geführten Schnüren zu bewegen und die textile Fläche durch Anziehen und Lockern der Seile in Länge, Breite und Form zu verändern. Mit dem entwickelten System lassen sich auch mehrere Einzelgewebe zu einer modularen beweglichen Struktur verbinden.

 

Ein anderer Aspekt des Projekts lag in der Frage, inwieweit die Aufteilung des Webprozesses auf zwei Personen im Gewebe selbst sichtbar wird. Kann man den Unterschied im Anschlag sehen? Wie verschieden fällt die vorher nicht festgelegte Breite der weißen Wollstreifen aus und lässt sich an deren Rhythmus eine individuelle Handschrift erkennen? So wird der Fokus auf Varianzen gelegt, die sich auch aktualisieren, wenn das interaktive Raum-Objekt von verschiedenen Personen bewegt und verstellt wird, ohne jemals eine endgültige Form anzunehmen.

Teilnehmer Clara Santos Thomas, Jola Maria Hauschild, Gifty Amoateng, Gaia Reiner, Sara Hassoune, Naja Stelmach, Sophie Stöckemann, Paolina Amelie Bumeder, Luise Schumacher, Joanna Czekajb
Betreuung Prof. Dr. Zane Berzina, Elisabeth Oestringer, Essi-Johanna Glomb
ProjektkategorieProjekt Projekt-Fächer BA/MA Textil- und Material-Design
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