Wintersemester 2020/2021, BA/MA Textil- und Material-Design Textil_Startseite , Textil_Startseite_Forschungsmitarbeitende
Master Thesis: Living Beings, Nelli Singer
Reaktionen auf Reize wie Wärme, Kälte oder Berührung sind in der Natur auch bei Pflanzen zu beobachten. Zum Selbsterhalt oder Selbstschutz reagieren manche von ihnen, wie die Mimose oder die Venusfliegenfalle, auf äußere Impulse sogar mit unmittelbaren, schnellen Bewegungen. Für deren Ablauf ist wiederum die jeweilige Struktur der Pflanzen entscheidend. Einige Eigenbewegungen in der pflanzlichen Natur sind sofort sichtbar, andere erst im Zeitraffer.
Die Idee des Projekts besteht darin, solche Phänomene und Funktionen in eine textile Konstruktion zu übertragen. Die Grundlage hierfür bietet die Entwicklung eines Fadens aus Holz, der sich in Abhängigkeit von Feuchtigkeit selbstständig und partiell unterschiedlich verformt. Dabei kommt vor allem das Richtungsverhalten von Naturmaterialien zum Tragen. Durch das Verstricken des Fadens bildeten sich organische und vergleichsweise stabile Strukturen, die als einzelne variiert und darüber hinaus als Module zu größeren Flächen zusammengesetzt wurden. Die Unterschiede in Form und Konstruktion der Objekte führten auch zu merklichen Unterschieden in der Art und Dauer der Bewegung.
Tatsächlich werden die Reaktionen des natürlichen Materials auf Feuchtigkeit und Wasser deutlich sichtbar und durch die Strickkonstruktion auf das Verhalten eines ganzen „Körpers“ übertragen. Manche Formen stellen sich auf, einige verlängern sich partiell, andere biegen sich.
Für das Herstellen der verschiedenen Strukturen wurden die eingeweichten Holzfäden in Maschen gebogen und anschließend zusammengesteckt. Aufgrund des Materialverhaltens tendiert der Faden dazu, sich bei erneuter Befeuchtung wieder in seine Ausgangsform zurückzubewegen. Durch die Strickkonstruktion findet gleichzeitig eine Wechselwirkung der Bewegungen statt, die zu neuen Bewegungsphänomenen führt.
Die entstandenen textilen Flächen entwickeln bei der Betrachtung starke assoziative Wirkungen und wecken den Eindruck einer eigenwilligen Lebendigkeit. Aufgrund der Unsichtbarkeit der die Bewegung erzeugenden Mechanismen erscheinen sie im ersten Moment geradezu unerklärlich, fast wie künstliche, virtuelle Animationen, auch wenn sie auf rein natürliche Prozesse zurückgehen.
Die unbekannten „Funktionalitäten“ natürlicher Materialien können sich sowohl in objekthaften als auch flächigen Erscheinungsformen manifestieren. Ihr Inkrafttreten, aber auch was sie dabei signalisieren, hängt unmittelbar mit der in ihnen sichtbar werdenden Kommunikation mit sonst unsichtbaren Umweltfaktoren zusammen. In diesem Sinne erzeugen sie nicht nur ein unerwartetes Wahrnehmungserlebnis, sondern können auch als umgebungssensitive Erweiterungen in der Architektur, Innenarchitektur oder in der Kleidung genutzt werden.